Achim Stanislawski

Das fliegende Spaghettimonster

Erstsichtung: Von Bobby Henderson in „The Gospel of the Flying Spaghetti-Monster”

Physische Charakteristika: Ein überdimensionaler, transzendenter Haufen Spaghetti, meist mit zwei oder mehr Fleischbällchen angerichtet und zwei Stielaugen, die aus seiner göttlichen Verschlungenheit ragen.

Herkunft: Das Fliegende Spaghettimonster ist älter als das Universum selbst. Es war schon immer da.

Familie: Das Fliegende Spaghettimonster hat keine Kinder, Untergottheiten oder Geschwister gezeugt. Es ist einzigartig.

Unterarten: keine

Habitat: Reich der Ideen und überall. Im apokryphen Evangelium des Thomas heißt es: „Dreh dir eine Gabel Nudeln auf, und ich bin da!“

Verhalten: Seine Beweggründe sind für den Menschen unverständlich, was aber nicht heißen muss, dass er über einen Grad der Intelligenz verfügt, die den Horizont seine Geschöpfe übersteigt.

Intelligenz: Dieser Punkt ist sehr umstritten. Entweder immens groß oder in etwa der eines großen Haufens Spaghetti mit Augen und Fleischbällchen.

Macht: Unendlich

Sichtungswahrscheinlichkeit: Nur die Auserwählten oder völlig Bekloppten, habe es bisher gesehen.

 

 

Genauere Beschreibung: 

 

 

Die ernsthafteste Parodie, die ich je hörte, ist diese:

„im Anfang war der Unsinn, und der Unsinn w a r, bei Gott! Und Gott (göttlich) war der Unsinn.“

                                                      Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches

 

 

Das Leben als Physiker kann manchmal schon ganz schön frustrierend sein. Da zermartert man sich das Tag und Nacht das Hirn, sucht nach Lösungen für Probleme, bei denen die meisten Menschen noch nicht einmal die Fragestellung verstehen, und wird deshalb als schrullig, spinnert oder sogar sozial inkompatibel angesehen. Ja, Physiker haben es wirklich nicht leicht auf Partys, Familienausflügen und bei sonstigen sozialen Interaktionen. Ganz zu schweigen von der offenkundigen Schwierigkeit überhaupt einmal ein Rendezvous zu bekommen. Obwohl im Ansehen hoch, wird das konkrete Ergebnis ihrer Arbeit nur von wenigen gewürdigt, während ihre Argumente auf dem sexuellen Schlachtfeld oft in keinem Verhältnis zu ihrer intellektuellen Kapazität stehen.

Was das Leben als Physiker jedoch vollends jämmerlich, ja ganz elendig schlimm machen kann, ist der krasse Kulturschock, den man erleben muss, wenn man mit der allgemeinen Schwärmerei der Menschheit für mythischen Aberglauben konfrontiert ist. Nicht dass in der angeblichen strengen Rationalität und Vernunft der exakten Wissenschaften nicht auch ein Kern Verrücktheit schlummerte – das kann man angesichts solcher Konzepte wie der „dunklen Materie“, des „egoistischen Gens“ oder der eigenartigen Fixierung vieler Physiker auf Laserstrahlen nun wirklich nicht bestreiten. Aber es ist doch glatt zum verrückt werden, wenn ein Mensch, der sich darum bemüht, analytisch an Probleme heranzugehen, die sich in den Weiten des Alls oder in dem Mirkokosmos der Atome abspielen (also in Welten, die für die das menschliche Bewusststein keine Vergleichswerte hat), immer wieder beobachten muss, wie in der Öffentlichkeit mit schöner Regelmäßigkeit die dümmsten Antworten auf diese Probleme als die wahrhaftigsten angesehen werden.

Am frustrierendsten ist es aber, wenn sich vor abergläubischer Gewissheit triefende „Experten“ aus obskuren Disziplinen daran machen, ihre Überzeugungen durch angeblich wissenschaftliche Methoden zu verifizieren. So sind ein paar Hirnies der übelsten Sorte (d.h. der Sorte „intelligent und mit unverrückbaren Überzeugungen“) etwa schon seit einigen Jahren dabei, eine „alternative“ Evolutionstheorie auszuarbeiten. Diese Theorie versucht die Informationen aus der Bibel über die Schöpfung mit archäologischen Forschungen und wilden Spekulationen über den Menschen als „Ziel“ der Evolution und die Entstehung der Welt zu verbinden. In diesem Weltbild ist die Evolution nicht ein Prozess von ungeheuer vielen Zufällen, Mutation und Fehlschlägen, sondern ein von einer göttlichen Gestalt in Gang gesetzter, im Kern schon in der Entstehung des Universums eingearbeiteter Plan der Entwicklung.

Dieser planmäßige Fortgang der Entwicklung nun soll in der metaphorischen Sprache der Gensis schon beschrieben sein, womit der Mensch endlich die tiefe Kränkung seines Selbstwertgefühls durch die Thesen Darwins aufarbeiten kann: Anstatt das märchenhaft unwahrscheinliche Produkt zufälliger Mutantionen kann er sich wieder als Zentrum des Universums fühlen.

 

Nun könnte man diesen Versuch Bibel und Evolution zu vereinen als ähnlich aussichtsreich abtun wie den des Hieronymus, der bekanntlich glaubte, das gesamte physikalische, zoologische und geometrische Wissen der griechischen Antike müsse irgendwie verschlüsselt in den Texten des Hohenliedes, des Pentateuch oder den Evangelien schon vorhanden sein. Aus seiner Sicht war das eine zwingende Schlussfolgerung, weil die Heiligen Schriften als Gottes Wort notwendig auch die zu Hieronymus’ Zeiten am besten ausgearbeiteten wissenschaftlichen Systematiken (eben die der griechischen Philosophen, Logik und Mathematiker) vorwegnehmen mussten. 

Aber dieses Unterfangen des großen Kirchenlehrers liegt schon einige Jahrhunderte zurück. Umso frustrierender ist es deshalb, wenn heute die sogenannten „Kreationisten“ mit ihrer parawissenschaftlichen Lehre vom „Intelligent Design“ den Versuch des Hieronymus wiederholen und ihre Alternative zur Evolutionstheorie gleichberechtigt neben der Darwins lehren wollen.

Ihr Angriff auf die von ganzen Generationen von Biologen, Paläontologen und Anthropologen ausgearbeiteten Theorien fußte dabei zum großen Teil auf zwei beliebten Argumentationssträngen: der Komplexitätsunterstellung („Gottes Wege sind unergründlich und seine Schöpfung so komplex, dass wir sie nicht verstehen können“) und vor allem dem altbewährten Satz: „Ich glaube nur, was ich mit eigenen Augen gesehen habe.“ Denn, bei Gott, wer könnte schon von sich behaupten, dass er diese „Evolution“ schon einmal bei evoltieren beobachtet hätte. Solange nicht alle Glieder der Entwicklung vom Primaten zum Homo Sapiens entdeckt sein (also die Skelette von 30 Millionen Generationen von Homiden!), könne die Theorie von der allmählichen Entstehung der Arten nicht als letztgültig bewiesen gelten. Und deshalb sei es, so die Kreationisten, wichtig neben dieser „unbewiesenen“ Theorie Darwins auch andere zu lehren, in den der Menschen nicht ein bloß zufällig entstandener Mutant ist, der aus irgendeinem ihm selbst nicht ganz klaren Grund vom Baum gestiegen ist, sondern sich nach einem göttlichen Plan zur Krönung der Schöpfung aufgeschwungen hätte. Solange die Darwinisten nicht alle Verbindungsteile der 10.000 Generation in der Geschichte der hominiden Entwicklung vom Affenvorfahren zum Menschen nachweisen können, vertrauten diese ganz besonderen Wissenschaftler lieber auf die Geschichten einer Reihe von Leuten, die behaupteten, Gott habe mit ihnen gesprochen. 

Dieser wunderbare Streit hätte noch lange dauern könne, wenn nicht aus einer unerwartete Richtung eine weise Stimme sich zu Wort gemeldet hätte.

Denn eines Abends entschloss sich der hominide Mutant und Physiker Bobby Henderson, wahrscheinlich aus bloßem Trotz, weil er wohl wieder kein Date hatte bekommen können, mit diesem ganzen Irrsinn aufzuräumen. Und so entwickelte er in einem genialen Moment flux eine valide Theorie über die Entstehung der Welt und ihren Schöpfer, die viel plausibler als der unbeweisbare Darwinismus und sogar besser als der Kreationismus ist.

Er besann sich auf all die wunderbaren Argumente des „Intelligent Designs“ und wurde so zum ersten Propheten des wahren Schöpfers der Welt: des fliegenden Spaghettimonsters. 

 Wie er in seinem heiligen Buch „The Gospel of the Flying Spaghetti-Monster“ ausführt, wurden die Erde, unsere Galaxis und der ganze Rest nicht von einem bärtigen älteren Mann, sondern von seiner heiligen Nudeligkeit geschaffen. Der Pastafarianismus, wie sich die beste aller Religion nennt, glaubt, dass ein großer Haufen Spaghetti mit Fleischbällchen und zwei krabbenhaften Stielaugen unsere schöne Welt und nicht zuletzt auch den Menschen geschaffen hat, um ihn zu preisen und zu verehren. Und dies kann natürlich am besten dadurch geschehen, dass man den Pastafarianismus neben der unbeweisbaren Evolutionstheorie und seinem uncoolen Cousin, dem „Intelligent Design“, endlich auch an den Schulen lernt. Soviel sind wir dem Fliegenden Spaghettimonster schuldig, denn es versorgt uns nicht nur mit einem sehr wohlschmeckenden und nahrhaften Rezept-Ebenbild, sondern hält seit Anbeginn der Zeit seine schützenden Nudeln über uns.

Aber es kommt noch besser. Denn Henderson beschränkte sich darauf, uns die frohe Botschaft nur zu verkünden. Anstatt von seinen Lesern zu verlangen, sie sollten bitte einfach glauben, was sich ein einsamen Spinner in einer langen Nacht so aus der Rübe zieht, machte er sich auch noch daran, er seine Behauptung sehr sorgfältig zu belegen. Er bediente sich dabei den wohlfeilen Argumente des Intelligent Designs:

Nur weil eine Theorie plausibel ist und Ereignisse zuverlässig erklären kann, muss sie noch lange nicht stimmen – besonders dann, wenn kein höheres Wesen dabei sein Nudeln im Spiel.

Da wäre zum Beispiel die Gravitation: Klar, Einstein hatte mit seiner Relativitätstheorie erklären können, warum bestimmte Rotverschiebungen durch Gravitationsfelder ausgelöst werden, wie sich die Zeit mit dem Raum krümmt und warum nichts schneller als das Licht reisen kann. Aber diese Theorie beschrieb nur, wie sich die Gravitation auf die Himmelkörper und ganze Galaxien auswirkt. Sie sagte nichts darüber, was genau sie ist, was sie auslöst und wodurch sie auf die Sterne, Planeten und Galaxien einwirkt. Klar, der Apfel fällt vom Baum. Aber welche Kraft durchläuft den Apfel, dass er gegen das Zentrum der Erde stürzen muss.

Kurzum: Niemand hatte je die Gravitationkraft bei der Arbeit gesehen.

Wenn mich jemand in einer düsteren Gasse schubst, kann ich zwar versuchen ihn zu beschreiben und anhand dieser Beschreibung auf eine bestimmte Person schließen. Es könnte aber auch ein völlig anderer sein (ein verkleidetes Lama zum Beispiel), der mir nur wie eine Person scheint. Eine Theorie ist, so das Argument, nicht vollständig bewiesen, wenn sie etwas nur beschreibt (egal wie exakt sie das macht). Sie muss mir auch den böswilligen Schupser beim Schupsen zeigen können.

Da dies aber nicht der Fall ist, könne man, so das Intelligent Design, die Theorie von der Gravitation zwar akzeptieren, es könne aber auch sein, dass etwas ganz anderes dafür verantwortlich ist, das wir fälschlicherweise für die Gravitation halten. Wenn aber – spätestens an dieser Stelle fallen meistens die Ersten mit einem Knoten im vorderen Hirnlappen zu Boden –eine Theorie nicht letztgültige Wahrheit nachweisen kann, so sei es nur logisch neben dieser auch andere Theorien zu erforschen und zu lehren. Deshalb müsse man, rufen nun die Vertreter des ID triumphierend aus, in der Schule neben der klassischen Evolutionstheorie auch ihre Version der Geschichte den armen unbedarften Schülern beibringen, wonach ein höheres Wesen nach einem genauen Plan erschaffen habe: Eben nach dem Prinzip eines intelligenten Designs, in dem nichts zufällig, sondern alles vom höheren Wesen bestimmt und geplant ist. (Weshalb, nebstbenebei bewiesen ist, dass die Bibel sich nicht irren kann! Immerhin gibt sie das Wort des höheren Wesens wieder. Sondern sie wird nur falsch gelesen.

Henderson benutzte nun diese wohlfeile und extrem ausgefuchste Argumentationsweise, um für seine leicht abgewandelte Version des Intelligent Designs, wonach das FSM die Welt erschaffen habe, neben der Evolutionslehre und dem Kreationismus der BibelNaturWissenschaftler als dritte wichtige Lehre zu etablieren. Dies gelang ihm durch einige gewagte, aber in sich völlig schlüssige Thesen, wonach z. B. die Gravitation, wenn man ein FSM als höchstes Wesen voraussetzt, auf ganz einfache Weise erklärt werden kann: Es sind seine vielen unsichtbaren Nudelstücke, die in allem Lebendigen und sogar in toter Materie anwesend sind und durch Kontraktionen für die Anziehungskraft sorgen.

Mit solchen und ähnlichen genialen Behauptungen, wie zum Beispiel dass der Mensch nicht vom Affen, sondern vom Piraten abstamme,  und dass das Verschwinden der Piraten gegen Ende des 18. Jahrhunderts für die Erderwärmung verantwortlich wäre, hat Henderson als Gründer des Pastafarianismus wahrlich einen Ehrenplatz unter den Religionsstiftern verdient.

Paradoxerweise ist jedoch Henderson selbst die wichtigste Implikation seines Gedankengebäudes entgangen. Seine neue Religion könnte das alte Problem der Theodizee mit einem Handstreich vom Tisch wischen. Nur war es nicht der Prophet selbst, der auf diesen genialen Einfall kam. Wahrscheinlich war seine Verehrung für das FSM schon so groß, dass ihm der wichtigste Aspekt an ihm glatt entging. (Was eigenartig scheint, wenn man sich den immer leicht dümmlichen Ausdruck des FSM vergegenwärtigt, der ihm in der jungen Ikonik des Pastafarianismus fast augenblicklich verliehen wurde.)

Denn warum sollte das FSM intelligent sein? Müsste es vielmehr nicht ganz schön unintelligent sein.

Zwei weitere Pastafarians weisen in einem Gastbeitrag im „Gospel of the Flying Spaghetti Monster“ auf genau diese nicht so einfach von der Hand zu weisende Möglichkeit hin: Das höchste Wesen, der Schöpfer dieses wüsten und chaotischen Universums vielleicht gar nicht so allwissend und intelligent ist, wie wir denken.

Ja, wenn man sich die Sache einmal genauer überleg, ist das FSM ein rechter Vollidiot. Die Welt muss nach einen Unintelligent Design geschaffen worden sein. Denn wenn wirklich, wie die Kreationisten sagen, ein höheres Wesen als Weltgeist die Geschicke aller Kreaturen auf Erden lenkt, wenn der Mensch tatsächlich die Krone eines ausgetüftelten evolutionären Designs ist, dann muss man diesen Werkmeister doch für bescheuert halten.

Kann denn eine Welt, die so furchtbar zusammengeschludert ist, wirklich nach dem Plan einer höchsten Intelligenz funktionieren: Schokolade macht dick und Alkohol Kopfschmerzen, die kleinen süßen Tiere müssen immer in Angst vor den großen leben. Schöne Frauen gehen selten mit Physikern aufs Zimmer, während Leute, die kaum einen Satz geradeaus sprechen können, aber dafür überzeugendes Balzverhalten hinlegen, damit überhaupt keine Probleme zu haben scheinen. Alle wollen immer, was sie nicht bekommen können, und verachten das, was sie haben.

Anstatt die beste aller möglichen Welten, wie es der alte Leibniz noch behauptet hat, bewohnen wir doch eine ganz schrecklich ungerechte, verzogene, um nicht zu sagen geradezu beschissene Baustelle von einem Leben. Es lassen sich leicht gute Gründe dafür finden, dass die Menschen eigentlich glücklich miteinander leben könnten (ausreichendes Wissen über die Natur, Automation der wirklich anstrengenden Arbeiten, genug gute Bücher um drei Leben lang zu lesen). Und doch mangelt es uns an praktisch allem, außer natürlich an Unvernunft und an dem schierem Blödsinn der menschlichen Verhältnisse. Wie anders ließe sich sonst die Existenz von so grotesk unnützen Dingen wie Modern Talking, Cellulite und tragbarem Laubgebläse erklären.

Da muss man dem alten Nietzsche doch einmal recht geben: Ecce homo! Schaut ihn euch doch an, den Menschen, der all dies noch viele andere aberwitzige Spinnereien hervorgebracht hat. Ihn, diesen furchtbaren Yahoo, hat das FSM ans Steuer des Raumschiffs Erde gesetzt. Er darf sich die Welt, wille-wille wie sie ihm gefällt machen. Dabei ist er ein Bruchpilot, ein schlecht rasierte Affen, der sich für einen „denkende Schneeballen“, für ein Vernunftwesen hält.

Würde denn ein Vernunftwesen sich so etwas wie den Kreationismus einfallen lassen. Eine Theorie mit implizit logischem Zirkel, die nur dann eine natürliche Entwicklung als wahrhaftig anerkennen kann, wenn sie auf eine unnatürliche Ursache reduzierbar ist.

Also ist der Kreationismus selbst das beste Argument dafür, dass die Theorie von unintelligent Design stimmen muss. 

 

 

 

 

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