Achim Stanislawski

Puddingprobleme 

Ein befreundeter Philosoph wollte mir zum Geburtstag einen Schokopudding kochen. Doch konnte er wirklich sicher sein, dass es tatsächlich Schokopudding war, was er da zubreitete? Hier der Versuch seiner heroischen Beweisführung (in Protokollsätzen):

 

Ausgangspositionen:

Gegeben sei ein gottfreies Labor/Küche: Darin ein Tisch, ein Herd, ein Topf, ein Löffel, ein Liter Milch, eine Fertigmischung für Schokopudding.

Operation:

Der kochende Philosoph folgt den Anweisungen auf der Packung und notiert dabei seine Überlegungen.

Er rührt das Gemisch aus Pseudo-Puddingpulver und Milch an und blättert dabei im Traktatus Logicus.

Protokoll: Vierundzwanzigster Versuch einer Lektüre, die in der Vergangenheit spätestens ab Punkt 1.3 abgebrochen wurde. „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Ist dieser Fall der Zerfall, der Verfall oder der Vorfall der Welt. Aber nein. Wie kann er dann alles sein? „Die Welt“ (vorrangig) „ist“ (besteht, existiert) „alles“ (macht all das aus, ist, obwohl sie alles ist doch nur in Einschränkung, alles) „, was der Fall ist.“ Noch einmal: „Die Welt ist“: Eine Welt existiert. Punkt. Keine Täuschung der Sinne, kein Spiel eines täuschenden Demiurgen: Kränkung des eingeborenen Solipsismus. Es ist eine bestimmte Welt, also eine Welt, die wir Menschen erfahren. Keineswegs eine Welt, die jeder anders sieht. Sie ist unangefochten von der Meinung ihres Betrachters. „Die Welt ist alles“, aber nur „was der Fall ist.“ Ist der Fall der Zufall, verengt sich die Welt auf den zufälligen Fall, den fallhaften Zu? Ist die Welt, größer (kleiner/gleich) dem Zufall? Wenn der Fall ein immer jeweiliger ist, wie kann die Welt (alles) dann in ihn fallen? Oder heißt es richtiger: „Die Welt ist alles, was die Fälle sind“? Kann die Welt sich selbst enthalten? Kann der Fall sich selbst enthalten? Ist per Zufall der Fall auch einmal größer als die Welt?  Was passiert bei diesem Vorfall? Fallen die Fälle, weil es zu viele sind, von der Kante der Welt? Ist der Fall eine Artikulation der Welt? Sagt der Fall die Welt aus oder verweist er auf die Welt? Warum ist der Fall nicht einfach die Welt, ohne das „alles“? Was ist das „alles“, das nicht die Welt oder der Fall ist? Worauf verweist es?

Und was steht auf der Packungsbeilage des Puddingrezepts? 

„Der Pudding ist fertig.“

Während der postulierte Schokopudding auskühlt, stellt der philosophische Freund folgende Experimente an.

  

Erstes Experiment: Klassische Syllogismen

Argumentationsgang deduktiv:

Alle Schokopuddings sind braun.

Der fertige Pudding ist braun.

Ergo: Der fertige Pudding ist ein Schokopudding.

 

Argumentationsgang induktiv:

Der fertige Pudding ist braun.

Alle Schokoladenpuddings sind braun.

Ergo: Der fertige Pudding ist ein Schokoladenpudding.

 

I. Einwand: Kann die Farbe dem Forscher aufgrund seiner schwachen Augen als braun erscheinen, ihre Farbe aber ein anderer Fall sein?

 Der Fall kann sein. Da kein Kollege zur Verifizierung der Farbe im Labor anwesend ist, kann die Möglichkeit einer Täuschung nicht ausgeschlossen werden.

II. Einwand: Kann, wenn Farben keine substanzielle Qualität von Materie sind, dem Anwender dieses Syllogismus der allgemeine Konsens der Bezeichnung „braun“ nicht geläufig sein oder kann er sie ungenau anwenden.

 Der Fall kann sein, ist jedoch höchst unwahrscheinlich.

 III. Einwand: Kann in der Welt der Fall eintreten, dass ein Pudding, obwohl er braun ist, kein Schokopudding ist.

 Ja.

 

Ergebnis des ersten Experiments: Auf diese Weise ist die Existenz des Schokopuddings nicht zu beweisen

 

 Zweites Experiment: Falsifizierung nach Popper

Es soll, gemäß des Falsifizierungsbeweises nach Karl Popper, ein Experiment durchgeführt werden, dass die Unwahrheit unserer Behauptung beweist. Sollte dieses scheitern, handelt es sich tatsächlich um Schokopudding:

 

Lexikalische Falsifikation:

I. semantisches Feld (Puddingsorten): Der Schokopudding ist nicht Vanillepudding, Erdbeerpudding, Grießpudding, Karamellpudding, Plumpudding, Kohlpudding, Wackelpudding, Yorkshire Pudding.

II. semantisches Feld (Desserts): Der Schokopudding ist nicht Speiseeis, Apfelstrudel, Joghurt mit Honig, Fruchtsalat, Tiramisu, Kuchen, Plätzchen, Parfait, Palatschinken, Mascarpone, Baklava, Kaiserschmarn, Crème brulée

III. semantisches Feld: (Speisenfolgen): Der Schokopudding ist nicht Vorspeise, hors d'oeuvre, Hauptgang, zweiter Hauptgang, Zwischengang, nicht Beilagensalat oder Nachspeise (d.h. nicht identisch mit „Nachspeise“) 

IV. sematisches Feld (Speisezimmer): Der Schokopudding ist nicht Tisch, Gabel, Messer, Löffel, Teller, Vorspeisenteller, Suppenteller, Terrine, Salatschüssel, Wasserglas, Weinglas, Kerzenständer, Tischtuch, Serviette, Zahnstocher…

Spätestens ab hier wird klar, dass der Versuch, lexikalisch die Existenz des Schokokuchens zu falsifizieren einen viel zu langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde, ein Regress durch die Sprache, der erst bei der Gleichung: „ein Schokopudding ist nicht Gott“ abgeschlossen wäre.

 

Falsifikation nach Eigenschaften:

Der Schokopudding soll durch seine Eigenschaften falsifiziert werden: Ausgeschieden ist bereits die Eigenschaft „von brauner Farbe sein“.

Weitere Eigenschaften:

„heiß“: Lässt sich überprüfen. Diese Eigenschaft ist aber, da sie auch vielen anderen Essen (und Nichtessen), vor allem aber auch anderen Puddings zukommt, kein geeignetes Kriterium.

„zähe Masse“: siehe oben

„zu 98 % aus Milch bestehend“: zu unspezifisch

„schwach elektronisch leitfähig“: zu unspezifisch

 „nicht lebendig“: zu unspezifisch

„terrestrisch“: zu unspezifisch

„flugunfähig“: zu unspezifisch

„kein aufrechter Gang“: zu unspezifisch

„nach Schokolade schmeckend“: falsifizierbar!

 Das geflügelte Wort: „The prove of the pudding is in the eating“ von Engels im Ohr, startet der Forscher den letzten, verzweifelten Versuch die Existenz des Schokopuddings zu beweisen:

Er isst die von ihm aus gesehen rechter Hand liegende Hälfte des Puddings:

Es ist nicht kein Schokopudding! Die Vermutung ist falsifiziert worden.

 Der umsichtige Forscher isst die von ihm aus gesehen linker Hand liegende Kontrollhälfte des „nicht kein Schokopuddings“.

Das Ergebnis ist nun auch verifiziert!

Ergebnis:  Über das, was nicht (mehr) der Fall ist, lässt sich doch reden: Es ist Schokopudding.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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